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    Die Idee zum Raketenflug hatte 
     
    Erich 
Bachem, der im oberschwäbischen Waldsee eine Zulieferfirma für Flugzeugwerke 
betrieb, ein begeisterter Segelflieger war und zuvor beim Flugzeugbauer 
     
    
Fieseler gearbeitet hatte. Im Herbst 1944 hatte er den Auftrag erhalten, 
eine "Wunderwaffe" für die Bomberabwehr zu entwickeln. Schon nach wenigen 
Monaten Entwicklungs- und Bauzeit wurde die Natter im Dezember 1944 bei ersten 
Schleppversuchen getestet. Ende Dezember gelang dann der erste unbemannte 
Senkrechtstart, und am 1. März 1945 sollte der 23-jährige Lothar Sieber auf dem 
Gelände des Truppenübungsplatzes Heuberg den ersten bemannten Senkrechtstart 
erproben. Für Erich Bachem kam der erste bemannte Start zu früh, aber angesichts 
der Krieglage und unter dem Druck der Auftraggeber wurde er dann doch 
durchgeführt. Leider verlief dieser erste bemannte Start tödlich. Weitere 
bemannte Flugversuche wurden nicht mehr unternommen. Erich Bachem gründete nach 
dem 2. Weltkrieg die Wohnwagenbaufirma Eriba (Erich
    Bachem), heute weltweit bekannt unter dem Namen 
     
    Hymer 
Wohnmobile.
 Bei der Sonderaustellung "Flugpioniere aus Oberschwaben", die vom 17. März 
bis 11. September 2005 in Bad Waldsee stattfand, sollte auch ein Modell der 
Natter ausgestellt werden. Die Museumsleitung trat deshalb mit der Bitte an den SSC Bad Waldsee-Reute heran, ob man sich vorstellen könnte, ein Modell der 
Natter im Maßstab 1:2 zu bauen. Von der Vereinsführung wurde spontan eine Zusage 
erteilt.
 
 Jetzt waren die Modellflieger und -bauer des SSC Bad Waldsee-Reute 
gefordert. Wie beim Bau des Originals stand man unter gehörigem Zeitdruck. Nur 
zwei Monate standen den Modellbauern bis zur Ausstellungseröffnung zur 
Verfügung. Zunächst galt es, die notwendige Literatur und Pläne zu besorgen. 
Ziel war, das Modell so originalgetreu wie nur möglich zu bauen. Da das Modell 
als reines Standmodell, also nicht flugfähig, gebaut wurde, spielte das Gewicht 
eine untergeordnete Rolle. Aber wir waren uns auch im Klaren: zu schwer sollte 
es auch nicht werden, denn es sollte ja noch transportiert werden können.
 
 Wir hatten zwar einen Originalplan, aber nur in DIN A4. Dieser musste nun 
entsprechend vergrößert werden. Da bestimmte Details, wie die Befestigung der 
Zusatzraketen aus der kleine Vorlage nicht richtig vergrößert werden konnten, 
mussten diese maßstabsgetreu nachgezeichnet werden. Jetzt konnten Überlegungen 
angestellt werden, wie groß die einzelnen Baugruppen werden sollten. Wir kamen 
zu dem Schluss, den Rumpf an einem Stück und die Flächen und Leitwerke steckbar 
und somit demontierbar auszuführen. Da beim Bau des Rumpfes mit Spanten (wie 
beim Original) eine Helling erforderlich gewesen wäre, wählten wir eine andere 
Variante. Seiten- und Draufsicht wurden auf zwei große Holzplatten übertragen, 
ausgesägt und mittig miteinander verbunden. So hatte der Rumpf schon mal seine 
Grundform. Die einzelnen Spanten wurden nun gevierteilt und eingepasst. Dies war 
dann doch sehr arbeitsintensiv, da der Rumpf ellipsenförmig ist und sich nach 
hinten und vorne verjüngt. Auch der Bau der abnehmbaren Kabine erwies sich als 
nicht ganz einfach.
 
 Nachdem die Spanten und Rippen eingepasst waren, wurde das gesamte Modell 
mit Flugzeugsperrholz beplankt. Wie früher beim Bau von Holzflugzeugen, wurde 
die Beplankung mit Nagelleisten aufgebracht. Anschließend wurde alles 
verspachtelt und verschliffen. Als Baumaterial wurde wie beim Original 
ausschließlich Holz verwendet. Für die Spanten und Rippen nahmen wir 
Multiplex-Platten und Pappelsperrholz, beplankt wurde das gesamte Modell mit 
Flugzeugsperrholz 1,2 mm. Die Nasenleisten wurden aus Fichtenholz gehobelt und 
geschliffen, für die Randbögen wurde Balsaholz verwendet. Obwohl es sich um ein 
Standmodell handelt, wurden die Ruder beweglich mit Hohlkehlen ausgeführt. 
Befestigt haben wir sie mit Kugelschnäppern.
 
 Für die vier Zusatzraketen wurden eigens Metallrohre angefertigt. Ein Ende 
wurde mit einem Klöppelboden (aus der Flaschnerei) verschweißt, am anderen Ende 
wurden die gedrechselten, schwenkbaren Düsen angebracht. Auch die Befestigung 
der Raketen am Rumpf wurde originalgetreu ausgeführt. Zum Lackieren wurde die 
Natter in eine befreundete Schreinerei transportiert. Und jetzt kommt das; was 
unsre Natter so einmalig macht: lackiert wurde sie mit Kirol-Fliegerlack wie in 
den Jahren 1944/45. Geliefert wurde der Lack von einer Münchner Spezialfirma. 
Nach der Lackierung ging es wieder zurück in die Flugplatzwerkstatt. Jetzt 
musste noch die Beschriftung angebracht werden. Unser Nachbau trägt die Nummer 
52.
 
 Pünktlich auf den Tag wurde unser Projekt fertig. Die Fertigstellung wurde 
gebührend gefeiert, und am nächsten Tag konnte die Natter im 
     
    
Heimatmuseum in Bad Waldsee abgeliefert werden. Dort war sie eines der 
Highlights in der Sonderausstellung "Flugpioniere aus Oberschaben". Rund 700 
Arbeitsstunden haben die Modellflieger des SSC Bad Waldsee-Reute in das Projekt 
Natter investiert. Und es hat sich gelohnt. Selbst Horst Lommel, der Experte für 
die Geschichte der Natter, bescheinigte einen sehr gelungenen Nachbau. Mit ihrer 
Lackierung ist sie einmalig in Deutschland. Inzwischen hat unsere Natter 
mehrfach ihren Standort gewechselt. Nach der "Militärgeschichtlichen Sammlung" 
in 
    
Stetten am Kalten Markt ist sie derzeit im
    
    Deutschen 
Technikmuseum Berlin ausgestellt.
 
 Bericht: Peter Halder
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    Augenzeugenbericht zum Flug am 1. März 1945
 
 Flugkapitän Fiedler, seinerzeit Entwicklungsleiter des Projektes 
            "Natter":
 
 "Während am Startplatz die Monteure die letzten Arbeiten 
            durchführten, jedes Teil der Maschine von Spezialisten nachgeprüft 
            wurde, und bevor Sieber in die Maschine kletterte und in der 
            ungewohnten Lage - Beine nach oben - angeschnallt wurde, sprach ich 
            noch einmal mit ihm über den Startverlauf:
            'Wenn die Maschine nach dem Start versucht, auf den Rücken zu 
            gehen,' sagte ich zu ihm, 'drehen Sie eine halbe Rolle, dann sind 
            Sie im steilen Steigflug und können sich besser orientieren.' Noch 
            ein Händedruck und Sieber nahm seine Position ein.
 
 Nach 10 Sekunden bis X-Zeit, die Uhr läuft ...
            10 Sekunden des Wartens, Ewigkeiten für den einsamen Mann im 
            Pilotensitz. Dann der Start. Rauschend läuft das 
            Walter-Düsentriebwerk an, geht auf Vollschub und in die 
            Dampfschwaden, die fast den ganzen Flugkörper einhüllen, schlagen 
            jetzt die zuckenden Blitze der vier Pulver-Startraketen. Für Sieber 
            muß dieser Augenblick, als die Maschine aus ihrer Blockierung tritt, 
            eine Erlösung sein.
 
 Ich war kurz vor dem Start ein Stück querfeldein gegangen, um die 
            Flugbewegungen besser beobachten zu können. Planmäßig stieg die 
            Natter fast senkrecht hoch ... Wir starrten ihr nach. Leicht beginnt 
            das Projektil seine Bahn nach hinten zu neigen. Meine Hände bewegen 
            sich unwillkürlich wie am Steuerknüppel nach rechts, als könnte ich 
            die Maschine dort oben beeinflussen. Da, ... ja, Sieber reagiert 
            richtig, dreht eine halbe Rolle, steigt im steilen Steigflug immer 
            schneller werdend durch die Nebelfetzen. In Sekunden bildet sich ein 
            Wolkenschleier, welch unerwartete, riesige Erschwerung seines 
            Fluges!
 
 'Die Haube ist weggeflogen,' sagt da einer in dem Häuflein Menschen, 
            die gebannt in die Wolkenfetzen starren, aus denen das Rumoren des 
            Rekatentriebwerks tönt.
            30 Sekunden, 40 ..., nach 55 Sekunden sah ich in der Ferne einen 
            dunklen Punkt nach unten stürzen. War es ein Vogel? Wir hofften und 
            warteten lange.
            Schließlich gingen wir in Richtung des beobachteten Sturzes und 
            fanden nach einigen Kilometern eine tiefen Krater ...
            Da über dem sich schließenden Hochnebel in großer Höhe eine 
            geschlossene Wolkendeck lag, könnte es sein, daß Sieber die 
            Orientierung verlor und statt nach oben nach unten durchstieß. 
            Sicher haben sich hinter der festen Windschutzscheibe, nun ohne 
            Haubendach, störende Luftwirbel gebildet. Sollte Sieber aus diesen 
            Gründen zu spät gedrosselt haben, wäre die Maschine im Schallbereich 
            unkontrollierbar geworden. Niemand weiß es."
 
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    Augenzeugenbericht zum Flug am 1. März 1945
 
 Erich 
            Bachem, Konstrukteur der Natter, äußerte sich 1953 zu dem Ereignis:
 
 "Die 'Natter' stieg zunächst senkrecht auf etwa 500 Meter. Dann flog 
            die Haube des Führerraumes ab, die Maschine ging in den Rücken und 
            entschwand in schnellstem Horizontalflug. Nach etwa einer Minute 
            explodierte sie. Das Gerät war völlig zerstört, der Pilot war tot. 
            Als Ursache des Unglücks wurde einwandfrei das Wegfliegen der Haube 
            festgestellt. An dieser befand sich die Kopfstütze. Der Kopf des 
            Piloten wurde schlagartig mit 3 g etwa 25 Zentimeter nach hinten 
            gerissen. Bewußtlosigkeit, vielleicht auch schon Genickbruch mußten 
            die Folge gewesen sein. Wahrscheinlich war das hintere 
            Haubenscharnier beim Transport verbogen oder beschädigt worden."
 
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